Matratzen: Rückenretter?

Wer kennt sie nicht, die Werbungen über die “richtige” Matratze. Sei es im Fernsehen oder auf Plakaten. Seit langem wetteifern Matratzenproduzenten um die Werbehoheit, die perfekte Matratze als Lösung für Rückenschmerzen entwickelt zu haben. Dabei werden tolle neue Technologien beworben, welche natürlich ihren Preis haben. Es handelt sich schließlich um großes Leiden. Und um einen großen Markt. Viele Millionen Menschen mit Rückenschmerzen, alleine in Deutschland.

Es hat sich fast wie eine unumstößliche Wahrheit etabliert – jeder hat bereits davon gehört. Sei es die orthopädische Matratze, die 7-Zonen-Matratze oder sei es der Memory-Schaum, welcher sich perfekt an den Körper des Schläfers anpasst. Die Art der Werbung lässt gar nicht den Raum für die wichtige Frage: was hat die Matratze überhaupt mit Schmerzen zu tun? Vermutlich hat jeder schonmal auf einer “falschen” Matratze gelegen und die Quittung dafür bezahlt. Ebenso finden sich sicherlich einige, denen ein Matratzenwechsel tatsächlich bei ihren Schmerzen geholfen hat. Diese glücklichen Einzelfälle dürfen sich gerne freuen über diese Hilfe. Man sollte es jedoch nicht mit der Annahme verwechseln, die “richtige” Matratze sei eine universal gültige Maßnahme gegen Rückenschmerzen. Matratzenproduzenten wollen den Eindruck erwecken, dass eine Matratze gegen “den” Rückenschmerz hilft. Dass es lediglich Einzelfälle sind, in denen dies den entscheidenden Unterschied machen kann, das wird natürlich gerne verschwiegen. Am Ende kommt es schlussendlich auf Grundsätzlicheres an.

Neandertaler und ihre Matratzen

Welch Glück, dass der Mensch schon seit seiner zehntausenden von Jahren auf hochwertige Matratzen mit Memory-Schaum bauen konnte. Ebenso waren die Vorfahren des modernen Menschen erstklassig ausgestattet mit bestem Schuhwerk und orthopädischen Einlagen.

Spaß beiseite. An dieser Stelle werde ich ironisch, weil die Selbstverständlichkeit, mit der Matratzen und Schuhwerk als Lösung für Schmerz angepriesen werden, impliziert, dass der die Vorfahren des Menschen aufgrund mangelnder Matratzen und Schuhe eigentich zwangsläufig ständig Schmerzen hätten haben müssen. In diesem Fall stellte sich die Folgefrage: wieso bringt die Evolution Menschen hervor, die für ein schmerzfreies Leben auf Matratzen und Schuhe angewiesen sind? Es ist natürlich lächrelich. Der Mensch ist durch die Evolution in tausenden von Generation zu einem beinahe perfekten Lebewesen geschmiedet worden, welches natürlich ohne jegliche Hilfsmittel schmerzfrei sein kann. Der Mensch war in der Lage, gut und lange auf hartem Boden zu schlafen. Er war in der Lage ohne orthopädisches Schuhwerk zu laufen, lange zu wandern, selbst zu sprinten. Wieso spielt all das für den modernen Menschen dennoch so eine große Rolle? Weil wir uns an den Luxus gewöhnt haben. Schon als Baby liegen wir auf Matratzen und hören damit unser Leben lang nicht auf. Wir gewöhnen unseren Körper an diesen Komfort und begreifen die Rückenschmerzen, die wir auf der falschen Matratze oder gar einer Isomatte erleiden, als Ergebnis der schlechten Unterlage. Das Problem ist nicht die Unterlage. Das Problem ist unsere antrainierte Sensibilität. Wir trainieren uns zu Prinzess*innen auf der Erbse. Wir werden mit zunehmendem Alter ebenfalls eine zunehmende Abhängigkeit von der richtigen Schlafunterlage erwarten können. Während die meisten Kinder nur wenig Probleme damit hätten, auf einer dünnen, harten Unterlage zu schlafen, so werden die meisten älteren Herrschaften weitaus abhängiger von ihrer gewohnten Matratze sein.

Nun stellen Sie sich einen Matratzenproduzenten vor, der Ihnen seine neue 9-Zonen-Matratze mit Nano-Memory-Schaum verkaufen möchte: “Kaufen Sie unsere neue Matratze. Sie könnten zwar – wenn Sie sich daran gewöhnen würden – sogar auf einer Isomatte gut und gesund schlafen, aber egal. Kaufen Sie unsere Matratze”. Natürlich kauft niemand diese Matratze. Hingegen: Sie sehen einen wissenschaftlich wirkenden Werbe-Clip, der in aufwendiger Animation darlegt, wie diese Matratze die Wirbelsäule gerade macht und damit Rückenschmerzen verhindert. Ist ja logisch, ein krummer Rücken ist schlecht und damit muss ein gerade Rücken gut sein. Eine solide Verkaufsstrategie. Dass hier Fakten verdreht und verheimlicht werden, spielt dabei keine Rolle.

Wer will, kann trainieren

Härten Sie sich ab. Versuchen Sie sich ruhig mal damit, auf einer harten Unterlage zu schlafen. Ich für meinen Teil schlafe bei den (zugegebenermaßen seltenen) Gelegenheiten sehr gut. Als ich den ersten Versuch wagte, hatte ich eine schlechte erste Nacht. Die zweite Nacht war bereits vorzüglich. Versuchen Sie sich daran, vielleicht überraschen Sie sich. Und wenn es einfach nicht klappen will, ist es auch nicht schlimm. Matratzen sind ja auch ganz gemütlich. Schaden tun sie ja schließlich auch nicht.

“Dies ist kein Plädoyer gegen Matratzen. Ich möchte auf die unlogische und profitgetriebene Verdrehung von Wahrheiten aufmerksam machen. Die Logik lässt nur einen Schluss übrig: einem natürlich elastischen und beweglichen Körper ist die Schlafunterlage egal. Schmerzen erleidet man nur, wenn der Körper seit Jahren bereits unnatürlich wenig und wenig vielfältig bewegt und gedehnt wurde. Ein Matratzenwechsel ist keine dauerhafte Lösung sondern ein Aufschieben des Problems.”

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