Gedankenexperiment gegen Stress

Sie stehen an der Supermarktkasse. Ihr Tag war bislang wenig erfreulich. Der Kassierer macht einen unfreundlichen Eindruck und redet unhöflich mit Ihnen. Beleidigt gehen Sie fort mit noch schlechterer Laune als vorher. „Der Kassierer war super unfreundlich“ beklagen Sie sich später. Durch diese Erfahrung wissen Sie den Kassierer einzuordnen. „Das ist ein Mensch, mit dem ich nichts zu tun haben will“. Ihre Meinung ist hiermit gebildet, ein Mensch in eine Schublade einsortiert.

Es passiert so schnell. Es braucht nur einen falschen Blick, eine schiefe Betonung, und jemand denkt schlecht von mir. Dabei hat der Kassierer es vielleicht gar nicht so gemeint, war in Gedanken versunken oder hatte schlichtweg selbst einen schwierigen Tag. Er ist womöglich kein Schauspieler, der trotz seines schlechten Tages eine strahlende Maske aufsetzen kann.

Was Sie in diesem Moment getan haben: Sie haben ihr (schlechtes) Urteil über ein ganzes Menschenleben gefällt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit ihrem Urteil über den Kassierer falsch liegen, weil Sie die Situation falsch interpretiert haben, ist sehr hoch. Höher als die Wahrscheinlichkeit, dass Sie damit richtig liegen. Und dennoch haben Sie jemanden anhand dieses fälschlichen Urteils bewertet. Dieser Umstand ist menschlich und doch falsch. Man könnte nun sagen „ich sehe den Kassierer nie wieder“, was richtig sein mag. Aber diese Urteile fällen Sie täglich. Auch über Freunde und Familie. Sie bewerten auch Ihre Nächsten anhand oberflächlicher Interpretationen oder Missverständnisse – und Ihr Gegenüber hat nicht einmal die Chance sich zu verteigen. Um das zu tun, müsste er ja von Ihren Gedanken wissen.

Der Schaden

Auf der einen Seite schaden Sie damit den Menschen mit denen Sie sich umgeben, da Ihre fälschliche Interpretation Ihre zukünftige Handlungsweise beeinflussen wird. Auf der anderen Seite schaden Sie sich selbst. Und das ist der eigentliche Kern dieses Beitrages: unter einem vorschnellen Urteil leiden vor allem Sie selbst.

Der Grund liegt in unserer Stresswahrnehmung. Ein Stress beginnt immer erst im eigenen Kopf. Hierzu ein überzogenes Beispiel: die Apokalypse stellt kein Problem dar, wenn es kein Lebewesen gibt, welches sich daran stören könnte. Übersetzt bedeutet dies: Die Unfreundlichkeit des Kassierers stellt kein Problem dar, solange Sie sich nicht daran stören. Die schlechten Gefühle durch die Unhöflichkeit des Kassierers entstehen erst in Ihrem Kopf. Daher die Feststellung: ein Stress beginnt immer erst im eigenen Kopf. Hätten Sie die Handlungsweise des Kassierers ganz anders interpretiert, nämlich freundlich, dann hätten Sie keinen Stress empfunden, sondern Freude. Das Problem im engeren Sinne ist nicht der Kassierer, sondern Ihre Interpretation. Wenn Sie nun einer womöglich falschen Interpretation folgen und anhand dieser Ihren Gegenüber bewerten, dann ist der Grund für ihren wahrgenommenen Stress ein selbstverschuldeter Irrtum. Wenn Sie nun einen chronischen Schmerz haben, dessen Ursache unter anderem Stress sein kann, dann ist Ihre womöglich fälschliche Interpretation der Situation im Supermarkt ein Baustein ihrer körperlichen Beschwerden.

Warum der Anwalt des Teufels hilfreich ist

Stellen Sie sich nochmal die Situation an der Kasse vor. Der Kassierer, welcher unfreundlich ist, ist in diesem Moment ihr Gegenspieler, Ihr Antagonist. Wenn Sie egozentrisch handeln, dann versuchen Sie lediglich, Ihre eigene Sichtweise zu bestätigen: „ich weiß, dass er es schlecht meint mit mir. Deshalb habe ich das Recht mich zu ärgern“. Wenn Sie wirklich ehrlich mit sich wären, müssten Sie zwangsläufig einsehen, dass Sie es niemals sicher wissen können, ob der Kassierer es wirklich schlecht mit Ihnen meint. Dazu müssten Sie ihn fragen. Es ergeben sich also zwei Handlungsweisen:

1) Sie sprechen den Kassierer auf Ihre Bedenken an und geben ihm die Chance, das richtig zu stellen oder zu bestätigen. Im letzteren Fall können Sie dann mit Fug und Recht sagen: „Er hat bestätigt, es schlecht mit mir gemeint zu haben. Nun kann ich mir meine schlechte Meinung bilden“

2) da Sie ihn vermutlich nicht darauf ansprechen werden, müssten sie die Rolle des Teufels’ Anwalt einnehmen: „welchen nachvollziehbaren Grund könnte der Kassierer theoretisch haben, mir gegenüber ungewollt unfreundlich zu sein?“ Die Gründe sind natürlich unendlich vielfältig. Sie können es niemals wissen. Es könnte alles sein. Da Sie es nicht mit Sicherheit wissen können, warum der Kassierer unfreundlich ist, können Sie sich auch kein Urteil bilden. Sie bleiben also zwangsläufig urteilsfrei. Ohne Urteil, kein Ärger. Ohne Ärger, kein Stress. Weniger Stress = weniger Muskelspannung = weniger Schmerzen bzw. geringere Wahrscheinlichkeit an Schmerzen zu leiden.

Die Moral von der Geschichte

Der advocatus diaboli ist im eigentlichen Sinne eine rhetorische Technik, die Position der Gegenseite bewusst zu übernehmen um einen Sachverhalt zu beleben. Das selbe Prinzip lässt sich nutzbringend für die gesamte Gedankenwelt nutzen. Anstatt mich über Alles und Jeden zu ärgern und mir den Kopf zu zerbrechen, warum es alle Menschen immer so schlecht mit mir meinen, kann ich auch einsehen, dass ich schlichtweg nicht genug Informationen habe, um meine Interpretationen zu bestätigen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mir keine Meinung zu bilden. Eine Alternative gibt es ansonsten auch: wer keine Lust hat, den Anwalt des Teufels zu spielen, der kann auch einfach mit den Menschen reden, damit diese für sich selbst einstehen können.

„Stress in all seinen Facetten ist ein Thema, welches kaum zu unterschätzen ist. Dabei wage ich gerne den Schritt in eine philosophisch-naturwissenschaftliche Betrachtung da hier viele Hinweise und Anreize zu finden sind, welche im Umgang mit etwas so Diffusem wie Stress eine Weichenstellung bieten können.“



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Die Macht assoziativer Gefühle

Wer kennt es nicht: diese besonderen Gerüche, die uns an besondere Momente und Gefühle erinnern. Oder die Lieder aus der Jugend, die Gänsehaut erzeugen. Wir alle kennen diese mächtigen Assoziationen und sind uns der Bedeutung dieses Begriffes „Assoziation“ gar nicht bewusst. Assoziation bedeutet die Fähigkeit unseres Gehirns, zwei Eindrücke miteinander in kausalen Zusammenhang zu bringen, wo ursprünglich kein Zusammenhang besteht. Es ist die Grundlage jeglicher Anpassungsfähigkeit und Lernfähigkeit eines jeden höher entwickelten Tieres.

Hatte ich als Kind einen besonders schönen Moment, als ich frische Sägespäne gerochen habe, so assoziiere ich diesen Geruch mit der Emotion, die ich im selben Moment gefühlt habe. Haben im Heimatort meiner lieben Großmutter immer die Kirchenglocken geläutet, so assoziiere ich das Läuten mit den Emotionen, die ich mit ihr verbinde. Das Gehirn lernt, bestimmte Reize als erstrebenswert zu bewerten, damit wir uns diesem häufiger aussetzen. Genauso gibt es auf der anderen Seite die negativen Assoziationen. Gewaltopfer entwickeln Angst vor Männern in dunklen Straßen. Erwachsene entwickeln Hemmnisse Auto zu fahren nach einem Unfall. Wir nennen es Traumatisierung. Im Grunde ist es eine Anpassungsreaktion, denn der Körper möchte verhindern, dass wir uns diesem Stress erneut aussetzen. Es ist ein natürliches Vermeidungsverhalten.

Wunderwerk Natur

Dieses geniale Anpassungssystem ist wahnsinnig klug, denn es bietet der menschlichen Genetik die grenzenlose psychische Anpassungsfähigkeit, die ihm das Überleben gesichert hat. Ein Steinzeit-Kind kann lernen, dass der aggressive Berglöwe, der bereits früher Clan-Mitglieder gefressen hat, sich durch raschelndes Laub und knackende Äste ankündigt. Es wird lernen, dass es auf ebendiese Geräusche in Zukunft zu achten hat. Diese Sensibilität erhöht also die Überlebenschance, denn das Kind wird den Berglöwen beim nächsten Auftauchen besonders früh registrieren. Dies bedeutet natürlich auch, dass es bei einem Knacken und Rascheln mit Angst reagiert, unabhängig von der Ursache. In der modernen Welt würden wir dieses Kind als traumatisiert bezeichnen. Aus Sicht der Natur ist es gut angepasst auf die traumatisierenden Erfahrungen der Vergangenheit.

Assoziation in der Erziehung

Ein Beispiel: Ein Vater, sehr fordernd und anspruchsvoll, will seinem Kind seine Faszination zur klassischen Musik nahe bringen. Wann immer er diese hört, drängt er sein Kind „doch mal hinzuhören“ und „mal still“ zu sein um sich „dieser wunderbaren Musik“ hinzugeben. Er möchte Faszination wecken und erreicht damit jedoch wohl nur eines: Abneigung. Das Kind assoziiert klassische Musik mit „mein Vater baut Druck auf mich auf“ und „ich habe keine Lust“. Nun nehmen wir das Gegenbeispiel. Ein anderer Vater hört gerne klassische Musik und würde sich freuen, wenn sein Kind diese Leidenschaft teilen würde. Er weiß jedoch, dass er es seinem Kind niemals aufzwingen kann. Er genießt einfach die Musik für sich und macht es sich nett. Er ist ruhig, entspannt, trinkt einen warmen Kakao und macht sich eine schöne Zeit bei Kerzenschein. Das Kind lernt: „mein Vater ist entspannt und nett“ und „Lecker, Kakao!“. Was passiert ist Folgendes: das Kind hat eine schöne Zeit mit dem Vater und assoziiert diese Gefühl mit klassischer Musik, da beides zur gleichen Zeit geschehen ist. Positive Assoziation ist damit ein mächtiges Werkzeug in der Erziehung.

Assoziation in der Beziehung

Viel zu tun, wenig Freizeit und wenig Zweisamkeit. Die Probleme moderner Beziehungen sind vielfältig. Was schnell passieren kann: viel Kommunikation passiert unter dem Eindruck schlechter Gefühle. Wenn man ausschließlich unter Zeit- und Arbeitsdruck mit dem Partner kommuniziert, kann es passieren, dass sich die Situationen häufen, in denen man miteinander redet, während es einem gerade nicht gut geht. Dies provoziert Ungeduld, Angespanntheit und negative Gefühle. Wenn der Partner nun unterbewusst assoziiert, dass Gespräche meist nur unter dem Eindruck dieser Gefühle stattfinden, besteht die Gefahr, dass die unangenehmen Gespräche mit der Person des Anderen assoziiert werden. Die Partner betrachten sich damit nicht mehr grundsätzlich positiv wie eine Person, mit der sie ausschließlich positive Erfahrungen teilen, sondern sie betrachten sich zunehmend negativ, je mehr negative Momente miteinander geteilt werden. Die negativen Erinnerungen werden Teil der gefühlten Beziehungswelt. Auch hier lässt sich eine positive Assoziation „nutzbringend“ anwenden.

Assoziative Gefühle nutzbar machen

Assoziationen bestimmen das künftige Verhalten einer Person. Dabei kann sich ein positives bzw. negatives Schneeballsystem entwickeln:

1) Negative Schneeball Assoziation an einem Beispiel: Ich bin Vater eines Sohnes. Ich bemerke abnehmende Schulleistungen und möchte dies ändern. Ich möchte Einfluss auf ihn nehmen da seine Schullaufbahn so wichtig ist. Wenn wir am Esstisch sitzen kontrolliere ich, ob er seine Hausaufgaben gemacht hat. Wenn wir uns im Flur treffen spreche ich ihn auf die Möglichkeit der Nachhilfe an. Wenn ich an seine Zimmertür klopfe, spreche ich meine Bedenken bezüglich ein paar seiner Freunde aus, die einen schlechten Einfluss auf ihn haben. Es vergehen viele weitere Situationen, in denen ich meinen Sohn betrachte und dabei an seine schlechten Schulleistungen denke und entsprechend kommentiere. Ich für meinen Teil assoziiere meinen Sohn bereits mit seinen schlechten Schulnoten da sich meine Gedankenwelt darum dreht. Nach einer gewissen Zeit bemerke ich, dass mein Sohn zunehmend gereizt wird wenn ich mit ihm rede und dass wir weniger Zeit miteinander verbringen. Was passiert ist: er hat meine Person mit den negativen Gefühlen assoziiert, welche er in Zusammenhang mit seinen Schulleistungen hat. Um sich mit diesen Gefühlen nicht auseinandersetzen zu müssen, weicht er mir aus und reagiert gereizt wenn „das schlechte Gewissen in Person“ schon wieder nerven könnte. Ich wollte Kontrolle und Einfluss und habe die emotionale Integrität meines Sohnes außer Acht gelassen. Er wendet sich von mir ab und damit entgleitet mir die Kontrolle schlussendlich. Wir nehmen somit zwei antagonistische Positionen ein, welche sich in erster Linie bekämpfen. Ein Einfluss meinerseits wird zunehmend schwierig. Stattdessen setze ich unsere Beziehung aufs Spiel.

2) Positive Schneeball Assoziation: Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn, merke jedoch auch, dass ich nicht mit der Tür ins Haus fallen kann. Ich fokussiere mich daher nicht auf dieses „Problem“. Ich versuche einfach, eine möglichste schöne Zeit mit ihm zu verbringen. Mit Geduld, Zeit und freundschaftlicher Zweisamkeit hat mein Sohn die Möglichkeit, die Zeit, die wir miteinander verbringen, als „schön“ zu assoziieren. Wenn er mich sieht, freut er sich. Wenn wir miteinander reden, hört er mir gerne zu. Wir kommen ungezwungen auf das Thema Schulleistungen zu sprechen und vielleicht erzählt er mir bereitwillig von seinen Sorgen. Ich könnte nun eher in die Situation kommen, in der mein Sohn mich als Gesprächspartner aufsucht um Gefühle zu teilen. Er breitet sein schlechtes Gewissen und seine Schwächen vor mir aus und bittet mich somit um Teilnahme. Würde ich ihm einen Vorwurf machen, so würde er das, was er vor mir ausgebreitet hat, sofort wieder zusammensammeln und sich abwenden. Stattdessen bin ich in der dankbaren Situation „der Gefragte“ zu sein. Eine Potenzial für gesunde Einflussnahme. An diesem Punkt kann ich über freundschaftliches und wohlwollendes Verhalten sanften Einfluss nehmen. Dabei gibt es immer Grenzen, welche mein Sohn unbewusst bestimmt. Diese Grenzen dürfen nicht überschritten werden, da ich hier wieder aus der freundschaftlichen Situation heraustrete.

Die Bedeutung der Assoziation für den Körper

Schmerzsyndrome haben oftmals eine entscheidende Ursache in emotionalem Stress. Diesen zu minimieren ist in vielen Patientenfällen ein entscheidender Schritt zur Schmerzfreiheit. Die Komplexität menschlicher Kommunikation wiederum ist oft entscheidender Baustein emotionalen Stresses und damit Objekt der Begierde für die Schmerztherapie. Zur Stressbewältigung ist also unter Umständen eine Veränderung der Kommunikation notwendig. Sich der Macht assoziativer Gefühle bewusst zu sein beeinflusst maßgeblich die Betrachtungsweise unseres gesamten menschlichen Beisammenseins.

„Die universale Wirkweise assoziativer Gefühle und ihre Nutzbarmachung war für mich eine Art Offenbarung zum Verständnis der menschlichen Emotionswelt und auch des Körpers. Hier wirken die gleichen Prinzipien zwar weniger deutlich, jedoch nicht weniger mächtig. Ein verkanntes Werkzeug für osteopathische Therapie.“



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Wie falsche Atmung Schmerz bedingt

Wann immer Claudia auf der Arbeit unter Druck gerät, wandern ihre Schultern aufwärts und nähern sich der Decke an. Dasselbe passiert Zuhause, wenn ihr Ehemann wieder mal einen Streit vom Zaun bricht. Sie kennt es kaum, dass ihre Schultern dort sind, wo sie eigentlich hingehören. Entspannt hängend. Einer der zwei entscheidenden Gründe für diesen Effekt liegt in der Atmung, genauer im Unterschied zwischen Bauch- und Brustatmung. Zum Verständnis muss man wissen, wieso es zwei Wege gibt, zu atmen.

Der anatomische Unterschied

Die Bauchatmung nennt sich Bauchatmung, da sich der Bauch währenddessen anhebt, also etwas größer wird. Bei der Brustatmung hingegen verändert sich der Bauch nicht, stattdessen hebt sich der Brustkorb an. Der Unterschied liegt in der genutzten Muskulatur.

Unter den Lungen liegt ein großer flacher Muskel (Zwerchfell), der wie eine trennende Wand die Organe des Brustraumes (Lungen, Herz) von den restlichen Organen im Bauchraum separiert, also in zwei Räume unterteilt. Da dieses Zwerchfell ein Muskel ist, können wir es bewusst steuern. Mit der Anspannung wandert diese liegende Wand wenige Zentimeter im Bauch abwärts, wodurch die Lungen „aufgezogen“ werden. Der dabei entstehende Unterdruck zieht die Luft hinein.

Bei der Brustatmung spannt sich die Muskulatur des Brustkorbes an, die man beim Schwein als „Rippchen“ bezeichnen würde. Zwischen jeder unserer 24 Rippen liegt Muskulatur, welche bei ihrer Benutzung den Brustkorb aufspannt wie ein Zelt. Dadurch entsteht ebenfalls ein Unterdruck, welcher Luft hineinzieht. Bei diesem Vorgang hilft die Halsmuskulatur, indem sie die obersten Rippen an sich heranzieht damit der Brustkorb besser aufgerichtet und vergrößert werden kann.

Der evolutionäre Unterschied

Beide Atemvarianten erfüllen spezielle situationsabhängige Aufgaben. Stellen Sie sich die Steinzeit vor. Sie stehen als Urmensch einem Säbelzahntiger gegenüber. Sie sehen sich gezwungen eine Kampf- oder Fluchtreaktion zu nutzen um Ihr Überleben und das Ihrer Familie zu sichern. In beiden Fällen müssen Sie körperliche Höchstleistungen erbringen mit entsprechendem Sauerstoffbedarf. Körperliche Höchstleistungen bringen Sie in Bewegung, das heißt: Sie rennen. Beim Rennen nutzen Sie den Großteil Ihrer Muskulatur und sind dabei natürlich auch auf Ihre Bauchmuskulatur angewiesen. Wenn sich die Bauchmuskulatur anspannt, kann Ihr Bauch sich jedoch nicht ausreichend ausdehnen, was eine Voraussetzung für die Bauchatmung ist. Daher muss Ihr Körper in die Brustatmung ausweichen um den Sauerstoffbedarf in diesem Moment zu decken. Brustatmung erfüllt evolutionär stets den Zweck den erhöhten Sauerstoffbedarf im Leistungsfall zu decken, was in der Urzeit des Menschen vor allem bei Gefahr geschieht. Gefahr bedeutet hierbei Lebensgefahr. Die Brustatmung ist daher neurologisch mit dem emotionalen Zustand der Angst assoziiert, in dem wir uns befinden. Unter Stress beginnt der Körper mit der Brustatmung. Sind wir entspannt, überwiegt wieder die Bauchatmung. Normalerweise jedenfalls …

Das Problem: moderne Stressoren dauern üblicherweise nicht einige Minuten, Stunden oder ein paar Tage an. Moderne Stressoren dauern lange. Wochen, Monate und Jahre vergehen oft, bis ein Stress sich legt, wenn überhaupt. Auf eine solche Stressdauer ist der Körper nicht ausgelegt. Die Brustatmung dient ursprünglich als kurzfristige Ergänzung bei erhöhtem Sauerstoffbedarf, nicht als dauerhafter Ersatz für die Bauchatmung. Doch genau dies geschieht. Chronischer Stress gewichtet die Brustatmung höher. Dies ist anatomisch in dem Maße jedoch nicht vorgesehen. Die ständige Nutzung der Zwischenrippenmuskulatur fördert im Laufe von Jahren und Jahrzehnten eine zunehmende Dauerspannung, welche zu einem festen Brustkorb führt. Die ständige Nutzung der Halsmuskulatur führt zum gleichen Effekt am Hals. Und da kommen wir zur Ausgangssituation. Die hochgezogenen Schultern. Die Brustatmung fällt uns leichter, wenn wir die Schultern anheben. Die angezogenen Schultern sind daher in vielen Fällen Folge einer verstärkten Brustatmung durch emotionale Anspannung.

Es kann also folgendermaßen zusammengefasst werden: Ihr Körper ist evolutionär nicht für chronischen Stress ausgelegt, stattdessen vor allem für kurze, heftige Stressoren wie die Flucht vor dem Säbelzahntiger. In diesen Situationen bedarf es einer Kampf- und Fluchtreakton mit hohem Sauerstoffbedarf. Aufgrund der Notwendigkeit der Bauchmuskulatur für maximale körperliche Leistung weicht die Atmung in die Brust aus da die Bauchatmung wegen der angespannten Bauchmuskulatur nicht gut funktioniert. Da der Stress, in dem Sie sich befinden, jedoch nicht nach wenigen Minuten vorbei ist, sondern Wochen und Jahre anhält, neigt ihr Körper weiterhin dazu, in die Brust zu atmen, in der Erwartung, die Flucht vorm Säbelzahntiger stünde kurz bevor.

So führt Stress zur einem veränderten Atmungsverhalten mit chronischem Spannungsaufbau vor allem an Brustkorb und Hals. Die Schultern wandern immer höher um die überwiegende Brustatmung zu erleichtern. Die nun gebildete chronische Spannung bietet dabei eine fruchtbare Grundlage, auf welcher Schmerzsyndrome wie Nacken-, Kopf- oder Schulterschmerzen entstehen können.

Eine erste Maßnahme

Testen Sie sich selbst: Legen Sie sich auf den Rücken und legen Sie Ihre Hände auf Ihren Bauchnabel. Stellen Sie sich vor, dass Ihre Hände einen Fahrstuhl repräsentieren, den Sie versuchen während der Einatmung Richtung Zimmerdecke zu heben. Wenn Sie in den Bauch einatmen, wird Ihr Bauch größer. Der Grund liegt, wie eingangs beschrieben, an der Bewegung des Zwerchfells Richtung Füße. Dabei werden die Bauchorgane etwas verschoben, welche dann nach vorne rutschen und die Bauchdecke dadurch anheben. Je höher der Fahrstuhl Richtung Zimmerdecke wandert, desto intensiver ist die Bauchatmung. Ziel ist es also, eine möglichst intensive Bauchatmung zu forcieren damit man lernt, bewusst das Zwerchfell zu nutzen. Dies lässt sich zu Anfang leicht im Liegen für ca. 15 Minuten machen. Regelmäßig wiederholt führt diese simple Übung zu einem Lerneffekt, der es einem langfristig zunehmend leicht macht, bewusst auch unter Stress in den Bauch zu atmen. Wenn die Bauchatmung bei Stress bewusst genutzt wird, hat dies einen beruhigenden Effekt. Falls Ihr Fahrstuhl einfach nicht Richtung Zimmerdecke wandern will und sich stattdessen nur Ihr Brustkorb anhebt: vermutlich hat sich Ihr Körper bereits seit Jahrzehnten durch anhaltende chronische emotionale Anspannung so sehr an die Brustatmung gewöhnt, dass Sie die gezielte Bauchatmung verlernt haben. Keine Sorge, das lässt sich korrigieren.

Bauchatmung bei Schmerzsyndromen

Die Atmung hat einen oftmals wesentlichen Einfluss auf die Entstehung und der Erhaltung chronischer Spannung, welche zu Schmerzen führt. Daher nimmt eine bewusste Korrektur der Atmung einen gewissen Teil in der Therapie solcher Schmerzsyndrome ein. Neben der Atmung gibt es weitere Ursachen für Schmerzen, welche individuell sehr verschieden sind. Bei Fragen zur Bauchatmung oder wie eine weitergehende Therapie aussehen könnte, kontaktieren Sie mich über das Kontaktformular.

„Die alltägliche Praxis zeigt immer wieder, welche übergeordnete Bedeutung die Atmung hat. Vor allem bei Schmerzsyndromen in der oberen Körperhälfte erweist sich die Atmung oft als entscheidender ursächlicher Faktor für Kopf- und Nackenschmerzen sowie Schmerzen im Bereich des Brustkorbes oder auch bei der Atmung“



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Kaiserschnittnarbe schmerzt – was tun?

„Ich fühle mich wie zweigeteilt“ – nicht selten fühlt sich eine Frau noch viele Monate nach einem Kaiserschnitt „irgendwie anders“. Grund für dieses veränderte Körpergefühl ist häufig eine Veränderung in der Muskel- und Faszienspannung im Bereich um die Kaiserschnittnarbe. Diese Reaktion verwundert kaum, denn es handelt sich schließlich um eine große Operation. In diesem Beitrag verraten wir Ihnen, wann eine Kaiserschnittnarbe behandelt werden sollte und wann nicht.

Der Körper möchte Verletzungen vermeiden

Für den Körper spielt es keine Rolle, ob er auf dem Operationstisch oder im Straßenverkehr verletzt wird. Verletzung ist Verletzung. So reagiert das Muskel- und Fasziengewebe auch bei einer kontrollierten Operation mit dem üblichen Spannungsaufbau. So kann es zu einer schmerzenden Kaiserschnittnarbe kommen. Ziel ist einerseits die mechanische Verstärkung des Areals und andererseits eine Sensibilisierung. Je sensibler das Gewebe, desto bereitwilliger vermeidet man eine erneute Verletzung. Aus der Perspektive des Körpers ein intelligentes Schutzsystem. Das unterbewusste Vermeidungsverhalten führt zu dem Automatismus, das verletzte Gewebe vor mechanischen Einflüssen der Umwelt schützen zu wollen. Ohne es zu wissen, beugt sich die Betroffene leicht nach vorne um ihren Bauch herum und zieht ihn ein.

Ob sich Spannungen bilden, ist in jedem individuellen Fall unterschiedlichen. Von komplett unauffälligen Befunden bis hin zu großflächig schmerzhaften und auffällig verspannten Bauch-, Becken- und Rückenarealen finden sich alle Fälle in meiner Praxis. Schmerzende Kaiserschnittnarben sind keine Seltenheit.

Vermeintlich schützende Spannung

Der Grund für ein verändertes Körpergefühl liegt in den Sinneszellen, welche in Muskulatur und Haut versteckt liegen. Diese geben der Frau ein Körpergefühl über Zustand und Lage der Gewebe. Verändert sich der Spannungszustand, verändern sich in der Folge auch die Nervenimpulse, welche aus dem betroffenen Gewebe „ins Bewusstsein“ wandern.

Schmerzen an der Kaiserschnittnarbe entstehen, wenn der Körper sich mit Gewebespannung zu schützen versucht.

Spannungen sollten behandelt werden da die Schutzreaktion der Verspannung in diesem Fall nicht notwendig ist. Der Grund ist einfach: es war eine gewollte Verletzung. Es war eine gezielte Operation. Jedoch weiß der Körper nicht um diesen Umstand. Er reagiert, als ob es sich um einen gegebenenfalls lebensbedrohlichen Unfall gehandelt hätte. Wenn die Spannung in dem Areal sich nicht wieder löst, besteht fortan ein ungewollter Mitspieler im Gleichgewicht der statischen Kräfte im Körper. Becken und Rücken sind nun beeinflusst von verfestigten Strukturen, welche bis dahin elastisch waren. Diese Einflussnahme auf die Statik ist nicht selten Ursache von Beschwerden – seien es Rücken- oder Bauchschmerzen, Hüftschmerzen oder solche in den Beinen.

Testen Sie sich auf eine schmerzende Kaiserschnittnarbe

Wenn Sie eine verheilte Kaiserschnittnarbe haben, drücken Sie entlang der Narben und in der näheren Umgebung ruhig einige Zentimeter in den Bauch. Tasten Sie an vielen Stellen in die Tiefe. Wenn Sie weder schmerzhafte Stellen, noch feste „Muskelgnubbel“ fühlen, dann wurden Sie womöglich von einem unerwünschten Spannungsaufbau verschont. Fühlen Sie hingegen Schmerzen beim Drücken, dann haben Sie einen starken Hinweis auf sensibilisierte Schmerzrezeptoren, welche in verspannter Muskulatur und Fasziengewebe zu finden sind. Es handelt sich dabei um nichts Dramatisches – es ist wie ein verspannter Nacken … bloß im Bauch. Solche Spannungen gilt es manuell (mit den Händen) zu behandeln bevor sie Beschwerden in umliegenden Körperarealen auslösen können. Grundsätzlich gilt: je früher, desto besser. Jedoch ist es nie zu spät. Auch mehrere Jahre alte Spannungen oder solche, welche bereits umfangreiche Folgebeschwerden ausgelöst haben, sind behandelbar. In diesem Fall kann es jedoch sein, dass die Behandlung etwas länger dauert als bei einer frisch verheilten Kasierschnittnarbe.

Was passiert bei einer Behandlung?

Im Grunde ist es unspektakulär. Mit speziellen Druck-, Dehn- und Entspannungstechniken werden mithilfe der Hände des geschulten Therapeuten die Spannungen entfernt. Man kann es sich ein bisschen wie eine Art gezielter Massage vorstellen. Nicht jeder Therapeut verfügt über entsprechende zielführende Behandlungstechniken.

Macht es immer Sinn, eine Kaiserschnittnarbe zu behandeln?

Nur wenn relevante Spannungen zu finden sind. Ohne Spannungen gibt es auch keinen Grund zu behandeln, da es salopp gesagt „nichts zu tun gibt“. Ob zu behandelnde Spannungen vorliegen, lässt sich im Laufe einer Sitzung in meiner Praxis gut einschätzen. In vielen Fällen reicht eine einzige Behandlung aus um alle behandlungsbedürftigen Spannungen zu entfernen.

„Kaiserschnittnarben können problematisch werden, müssen es aber nicht. Je früher man eine Narbe auf relevante Spannungen überprüfen kann, desto weniger Aufwand ist es, diese zu behandeln. Zu spät ist es jedoch zum Glück nie. Lassen Sie sich von ihrer Frauenärztin abklären und eine Verordnung für Osteopathie mitgeben damit Ihre Krankenkasse sich daran beteiligt.“


Wenn Sie Hilfe suchen bei Schmerzen an der Kaiserschnittnarbe oder ähnlichen Symptomen, vereinbaren Sie einen Termin.


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